Von der Ruhrtalstrasse zur Kiefern

Wie uns Auszüge des Katasteramtes von 1874 zeigen, heißt die Kiefernstrasse vor 1902 noch Ruhrtalstrasse und verbindet die „Städtische Gasanstalt“ am Höherweg mit den Kesselschmieden, Walzwerken und Dratziehereien in Oberbilk.

Die untere Kiefernstrasse heißt damals noch Pfeilstrasse. Durch sie führte die schon 1838 in Betrieb genommene erste Eisenbahntrasse Westdeutschlands, die „Düsseldorf-Elberfelder Eisenbahn“ zwischen Wuppertal und dem Graf-Adolf Platz.

Auf Grundstücken von Jacques Piedboeuf, dem Betreiber der benachbarten Kesselschmiede wurden die Häuser der Kiefernstraße (Nr. 1 – 37 und Nr. 6 – 12) zwischen 1908 und 1910 vom Architekturbüro Rudolf Wilhelm Verheyen und Julius Stobbe als „mustergültige Kleinwohnungsbauten“ gebaut. Die 3 Häuser Kiefernstr. 14 bis 18 baute der Architekt Fritz Hofmeister mit dem damaligen genossenschaftlichen „Düsseldorfer Bau- und Sparverein“.

Das alte Badehaus Kiefernstr. 4 wird zum Treffpunkt für die neuen Bewohner*innen der Kiefernstraße!

Das Gebäude Kiefernstr. 4 fällt in dem Gesamtensemble kaum auf. Welche besondere und spannende Geschichte hinter diesem Haus steckt, wird aber u.a. durch ein altes Foto von 1909 sehr deutlich.

Wahrscheinlich zur Einweihungsfeier einer Frühstücksstube und Speisewirtschaft stehen 4 Musikanten mit Posaune, Tuba, Horn und Trompete vor dem Eingang, flankiert von der herausgeputzten Pächter- oder Betreiberfamilie Allekotte. Neben Mittagstisch, Suppen, Schnittchen, Kaffee, Kautabak und Zigaretten werden Kost und Logis und ein Brausebad im Hof angeboten. Die auf dem Foto gezeigte Fassade ist heute noch weitgehend erhalten.

In der Baubeschreibung der damals zuständigen Düsseldorfer B.D.A. Architekten Verheyen (Verheyen hat zu der Zeit in verschiedenen Stadtteilen von Düsseldorf etliche, heute unter Denkmalschutz stehende Wohnhäuser und auch die Oberkasseler Auferstehungskirche gebaut!) und Stobbe von 1909 wird klar, welche Bedeutung dieses unscheinbare Haus in den damaligen Stadtteilen Flingern und Oberbilk hatte:

„Es wird verständlich, dass in dieser Fabriklage die Einrichtung von Kleinwohnungen ein dringendes Bedürfnis ist (…)
Solche Wohnungen inmitten eines Bezirks, welcher über 40 000 Arbeiter beschäftigt, helfen einem fühlbaren Mangel ab, da bis heute die in derartiger Industriegegend beschäftigten Arbeiter weite Wege zurücklegen müssen, um ihre Wohnung, resp. Arbeitsstätte zu erreichen (…)
Als weitere Neuerung in diesen Häusern sei noch besonders die Badeanlage in den Verwaltungshäusern erwähnt. Es sind hier Brausen und Wannen in abgeschlossenen Badezellen des Untergeschosses angelegt, so dass die Mieter für einen geringen Betrag (für ein Brausebad 5 Pfennig und für ein Wannenbad 10 Pfennig) ein Bad bekommen können. Für die Reinlichkeit und Ordnung sorgt wieder der Hausmeister (…)
Jede einzelne Wohnung ist für sich abgeschlossen, hat einen separaten Abort (in den meisten Fällen hinter dem Wohnungsabschluss).“

Für damalige Verhältnisse war diese Art von „Musterwohnungsbau“ revolutionär, aber natürlich hatten nicht alle diesen „Abort“ hinter oder in ihren 2 – Zimmerwohnungen (Alle Zimmer hatten/haben eine Größe von ca. 15 qm).
In den vielen Häusern teilten sich mehrere Familien den „Abort“ auf halber Treppe in den Treppenhäusern. Badezimmer waren Mangelware. Das ist auch heute noch so!
Die Kiefernstr. 4 war also vielleicht ein Verwaltungshaus und diente ähnlich wie das Gerresheimer Heyebad (für die Arbeiter*innen der Glashütte) den Metallarbeiter*innen der umliegenden großen Eisen- Draht- und Kesselwerke u.a. auch als Wasch- und Badehaus nach ihrer Schicht. Leider sind die Badezellen in Keller und Hof nicht mehr erkennbar und auch Fotos aus damaliger Zeit oder aus späteren Jahren sind bisher nicht aufgetaucht. Das Ladenlokal ist in seiner Struktur aber weitgehend erhalten.

Als 1981 neue BewohnerInnen auf die Kiefernstraße kamen, führte der schon etwas ältere „Herr Sobbek“ mit seinen beiden Verkäuferinnen schon jahrelang ein funktionierendes Lebensmittelgeschäft mit einem „Vollsortiment“. Der Laden blühte durch die Neukunden sichtlich auf und hielt sich auch ein paar weitere Jahre.

Als „Herr Sobbek“ in den Ruhestand ging, wurde er und seine beiden Verkäuferinnen von den Bewohner*innen der Straße mit großem Bahnhof und Sekt verabschiedet.

Mit gutem Kontakt zur Straße führten die griechischen Pächter Jannis und Maria den Lebensmittelladen einige Jahre weiter, reduzierten das Angebot aber merklich. Anschreiben lassen und immer ein freundliches Gespräch über die Theke oder vorm Laden gehörten zum Alltag, bis Jannis sich als Kneipenwirt nach Bilk verabschiedete.
Danach führte Ricarda den Laden eine Zeitlang eher als Kiosk weiter. Irgendwann gab es Sitzgelegenheiten draußen vorm Laden, die bei jedem Sonnenstrahl als Treffpunkt für den Verzehr von Frühstücks- und Feierabendbier genutzt wurden.

Nach langem Leerstand mietete dann das „Kulturbureau Kiefernstraße 4“ (damals als Genossenschaft in Gründung) den Laden als Galerie, für Ausstellungen, Lesungen und Kunstprojekte an. Das Kulturamt förderte diese Arbeit.

Jetzt im Januar 2019 wechselt gerade das Team der „Macher*innen“ und das alte Badehaus entwickelt sich immer mehr zum Treffpunkt für die Bewohner*innen der Kiefern. Straßenversammlungen und der Kampf für bezahlbaren Wohnraum bestimmen jetzt den Alltag.
Und manchmal wird der Laden sogar als außerschulicher Lernort für den Geschichtsunterricht genutzt.

Bildquellen: Bildarchiv Schmidt; Stadtarchiv Düsseldorf; M.Calignano; K.Michels; L.Schönenberg; R.Bonsink