Vom Dorf zum Zentrum der Stahlindustrie
Diese öde Gegend, diese alten Industriebrachen in Oberbilk, Flingern und Lierenfeld, ein riesiges Dreieck zwischen dem Düsseldorfer Hauptbahnhof, der Eller- und der Erkratherstrasse haben aber geschichtlich einiges auf dem Buckel, das Düsseldorf besonders in den letzten 150 Jahren zu dem gemacht hat, was die Stadt heute ist.
Alle die das heutige Düsseldorf klischeehaft eher mit Großbürgertum und Reichtum verbinden, sollten wissen, dass ein großer Teil dieses Reichtums in den Betrieben von Henkel, Mannesmann, Poensgen, Schieß, Klöckner, Lehmann, VKW usw. hier in diesem Dreieck von tausenden ArbeiterInnen erarbeitet worden ist.
Daher ist es höchste Zeit, sich mit dieser Gegend und seiner Geschichte, in der das alte Arbeiterquartier Kiefernstrasse nur ein kleiner Bereich ist, zu beschäftigen und zu würdigen.
Schauen wir von der Ecke Fichtenstrasse/Werdenerstrasse aus in Richtung Eller, Lierenfeld und Gerresheim und stellen uns etwa das Jahr 1820 vor. Der „Preußische Distrikt Oberbilk“, der zu Bilk gehörte, war ein Dorf und bestand damals aus ungefähr 30 Bauernhöfen und Häuser. In Richtung Eller erstreckte sich ein Wald. Es gab zwei befestigte Strassen, die „Chaussee von Düsseldorf nach Benrath“ (die heutige Kölner Strasse), die „Grafenberger Chaussee“ und als Wirtschaftsweg die Erkratherstraße.
Wenige Jahre nach der deutschlandweiten ersten Eisenbahnstrecke zwischen Fürth und Nürnberg wurde schon im Jahr 1838 von der Düsseldorfer-Elberfelder Eisenbahngesellschaft in der damaligen preußischen Rheinprovinz eine Bahnstrecke zwischen Düsseldorf, Erkrath und der Textilindustrie in Elberfeld gebaut. In den folgenden Jahren bauten in der Umgebung die Bergisch-Märkische, die Cöln-Mindener und die Rheinische Eisenbahngesellschaft etliche Zugstrecken und verlagerten damit den Transport von Gütern und Rohstoffen in kurzer Zeit von Pferdefuhrwerken auf die Schiene. Die damaligen Düsseldorfer Hauptbahnhöfe der Bergisch-Märkischen und der Cöln-Mindener Eisenbahngesellschaft lagen am Graf Adolf Platz. Die Düsseldorfer Händler vertrieben die Güter dann über den Rhein in alle Welt.
Die billigen Äcker und Flächen neben den Gleisen vor den Toren Düsseldorfs wurden recht schnell von der Industrie für ihre Fabriken in Beschlag genommen. Zwischen 1850 und 1870 siedelten in diesem Gebiet die Belgischen Unternehmer aus dem Raum Lüttich Pied Boeff, Richard und Gobiet-Benson mit ihren riesigen metallverarbeitenden Fabriken und Walzwerken an. Gegen diese „stinkenden Fabriken“ gab es damals von der eingesessenen Bevölkerung nicht nur Zustimmung!
Die Gebrüder Poensgen brachten 1864 ihr Stahlwerk und sogar als Arbeiter das halbe Dorf Mauel aus der Eifel mit. Auch der bedeutende deutsche Unternehmer E. Overweg gründete hier 1856 eine Eisenbahnwaggonfabrik. So entwickelte sich in Oberbilk, Lierenfeld und Flingern innerhalb weniger Jahre ein wichtiger Schwerindustriestandorte in Deutschland. Hier wurden Stahl, Bleche, Nägel Draht, Dampfkessel, Brückenteile, Fittings und besonders Röhren hergestellt. Schon um 1870 war Oberbilk einer der Schwerpunkte in der europäischen Röhrenindustrie.
Stellen wir uns dieses Gebiet um diese Zeit vor haben wir ein unüberschaubares, stetig wachsendes, ungeplantes, riesiges Viertel mit Gleisanlagen, Bahndämmen, Häusern und Wohnquartieren dazwischen und mit Tag und Nacht stampfenden, stinkenden und rauchenden kleinen und großen Fabrikanlagen, in denen im 3 Schichtensystem gearbeitet werden musste. Die Arbeits- und Umweltbedingungen waren katastrophal.
Nachdem 1881 der preußische Staat die privaten Eisenbahngesellschaften verstaatlicht hatte, wurde danach durch einen Bebauungsplan versucht das Chaos zu strukturieren, Strassen anzulegen, die Gleisanlagen zu bündeln und einen neuen Hauptbahnhof zu planen. Der wurde 1891 eröffnet und trennt mit seinen massiven Gleisanlagen und Unterführungen bis heute die Innenstadt von Oberbilk und Lierenfeld.
In diesem riesigen Industriegebiet der späteren Industriegroßstadt Düsseldorf wurden auch Eisenrohre für die Gas- und Wasserleitungen der wachsenden deutschen Städte hergestellt. So ist es auch kein Wunder, dass die Stadtwerke Düsseldorf 1865 für die Versorgung der Stadt vor den Toren Düsseldorfs am Höherweg das erste Gaswerk errichtete. Das Fundament des letzten Gasometerturms existiert auch heute noch und bildet an der Automeile das Runddach eines Autohauses. Die Stadtwerke nutzen inzwischen am Höherweg ihr alten, renovierten Gebäude als Firmensitz.
Machen wir uns nichts vor. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhundert unterstütze auch die Düsseldorfer Metallindustrie die Aufrüstung für die beiden Weltkriege. Rheinmetall stellte Waffen und Munition her, Mannesmann produzirte Rohre für Geschütze und Hein Lehmann baute U-Boot Komponenten. In über 200 Düsseldorfer Betrieben arbeiteten viele tausend Zwangsarbeiter*innen und KZ-Häftlinge.
In den Nachkriegsjahren aber begann der Niedergang dieses Industriestandortes. Viele Unternehmen wuchsen zusammen, bildeten Kartelle, wurden mit Firmen wie Thyssen, Mannesmann, Vereinigte Kesselwerke oder Klöckner im Ruhrgebiet zusammengelegt und an bessere Standort in Krefeld oder Duisburg ausgelagert. Bis in die 1970er Jahre waren alle industriellen „Schwergewichte“ aus diesem Gebiet verschwunden, nur die Kesselwerke, wo heute das Gerichtsgebäude steht, wurde erst 1991 geschlossen und danach abgerissen.
Inzwischen sind viele Zeugnisse dieser industriellen Identität abgeräumt worden und verschwunden.
Vom Walzwerk Hein & Lehmann, das Teile für die Kölner Hohenzollernbrücke und für nahezu alle Düsseldorfer Rheinbrücken hergestellt hat, ist immerhin die unter Denkmalschutz stehende Fassade an der Fichtenstrasse geblieben. Nach dem Umzug nach Krefeld wurde dieser Standort 1994 aufgegeben.
Der britische Projektentwickler Sergio kaufte 2007 diese Lehmannfläche und entwickelt dort gerade mit 65.000 qm Mietfläche einen großen City-Gewerbepark mit Büros und Produktionsflächen, mit einem Logistikzentrum der Post und mit dem japanischen THK Konzern (Fahrwerksaufhängungen), der seine Europazentrale von der Oberkasseler Hansaallee hierhin verlagert.
Die Klöckner- Drahtindustrie gab 1975 den Standort an Kiefern-, Fichten- und Pinienstrasse auf und zog nach Duisburg um. Die Stadt kaufte die Wohnbebauung an der Kiefern und die Stadttochter IDR (Industrieterain Düsseldorf – Reisholz) entwickelte die benachbarte Industriebrache zu einem Gewerbehof.Der IDR vermarktet z.Zt. gerade das benachbarte AWISTA-Gelände bis hin zur Ronsdorfer Strasse an den italienischen Importeur SMP, die Fa. Spanischer Garten und an die Autobranche Mylack und PV Automotive aus Essen.
Das VKW Gelände ist Standort für das Amts- und Landgericht geworden. Der ehemalige Lierenfelder Güterbahnhof wird als Wohngebiet bis zur Mindener- und Ronsdorfer Strasse demnächst an Oberbilk angebunden werden.
Das Mannesmanngelände in Lierenfeld an der Erkrather Strasse wurde als Gewerbefläche und für die Rheinbahnzentrale entwickelt.
Als Zeugnisse dieser industriellen Zeit sind übrig geblieben:
Kiefern-Arbeitersiedlung, Zakk-Halle, Konsum Gelände, die alten Farbwerke, Stahlwerk von Mannesmann an der Ronsdorfer Strasse, ein Hochbunker und Verwaltungsgebäude von Mannesmann in Lierenfeld, die von KünstlerInnen genutzt werden, die Hein & Lehmannfassade
Wir danken der Autorin Annne Mommertz, dass wir Informationen und Fotos aus ihrem Buch „Oberbilk“ verwenden durften.
Wir danken Thomas Bernhardt, dass wir Informationen und Fotos aus seinem Buch „Düsseldorf-Flingern in historischen Fotografien“ verwenden durften.
Bildquellen: Stadtarchiv Düsseldorf; A.Mommertz; L.Schönenberg; K.Michels