Die rote Kommune 1932

Das Elend in den Klöckner Wohnungen – Gekürzte Unterstützungssätzze, wachsende Mietschulden – Der einzigste Ausweg: Sozialismus!

 

Düsseldorf. Äußerlich unterscheidet sich die Kiefernstraße kaum von einer anderen Straße in Düsseldorf. Die Fassade könnte sogar eine Siedlung vortäuschen. Aber hinter der Fassade zeigen sich die Auswirkungen des kapitalistischen Systems mit aller Brutalität.


22 Häuser auf der Kiefernstraße gehören dem Zentrumskapitalisten Reichstagskandidaten Peter Klöckner aus Duisburg. Es sind Werkswohnungen, hinter denen drohend 6 Schlote des Klöckner-Werkes emporragen. Ein großer Teil des Betriebes liegt still. Die Arbeiter, die in den Häusern des Klöckner-Konzerns wohnen, haben früher in dieser Fabrik gearbeitet. Zweiundzwanzig Häuser, in jedem Haus dreizehn Familien, und unter diesen dreizehn Familien fast immer nur ein Arbeiter, der noch beschäftigt ist.
Aufs geradewohl suchen wir eine Familie heraus,, die uns ihre elende Lage schildert.
„Wir sind zu vier Personen. Die Unterstützung beträgt für den Vater 12 Mark, für den Sohn 4 Mark pro Woche. Das macht 16 Mark für 4 Personen. Wir müssen an Miete bezahlen 25 Mark.“
„Wie lange seid ihr schon erwerbslos?“
„Das weiß ich schon selbst nicht mehr. Es mag 1928 gewesen sein, als ich das letzte Mal arbeiten konnte. Ich war bei Klöckner beschäftigt und wie ich arbeitslos wurde, bleiben wir nach und nach mit der Mietzahlung in Rückstande, so daß die Schuld jetzt rund 100 Mark beträgt.“
„Hat Klöckner geklagt,“
„Ja, auch das Räumungsurteil wurde ausgesprochen, und zwar zum 1. November 1932 sollte ich die Wohnung geräumt haben. Es kam aber nach vieler Mühe zu einer Einigung, und ich muß zu der Miete pro Monat auch noch 5 Mark zahlen, um die Mietschuld abzutragen.“
„Da müssen alle vier Personen von 34 Mark im Monat leben?“
„Hat die Firma nicht irgendwelche Erleichterungen zugesagt?“
„Gibt es nicht bei denen!“

Damokles-Schwert der Zwangsräumung
Die Opfer der Klöckner-Direktion hinter Zuchthausmauern

Wir kommen zu einer Familie, die im August zwangsweise herausgesetzt werden sollte. Wir hören, daß schon seit Jahren der Räumungsbefehl vorlag, der Räumungsbefehl aber nur dann vollstreckt werden sollte, wenn die Familie mit der Abtragung der Mietschulden im Rückstand bleiben würde. Vier Monate war die Familie im Rückstand. Der Ehemann war auch bei Klöckner beschäftigt und die Mietschuld durch die Erwerbslosigkeit verursacht. Plötzlich im August des Jahres traf die Mitteilung des Gerichtsvollziehers ein:
„Binnen 8 tagen müssen Sie die Wohnung räumen. Andernfalls werden Sie zwangsweise herausgesetzt!“
Wie bemerkt: Die Familie war vier Monate mit der Miete im Rückstand. Zwanzig Jahre arbeitete aber der Ehemann für den Zentrumskapitalisten Peter Klöckner. Ein Bruchteil des Gewinnes, den er aus dem Arbeiter in den 20 Jahren herausgepreßt hatte, genügte zur Begleichung der Mietschuld. Aber rücksichtslos bestand der Klöckner-Konzern auf der Zwangsräumung. Die Arbeiterfrau steht auch jetzt noch unter dem Eindruck der letzten Stunden vor der Zwangsräumung: „Wir waren zum Wohlfahrtsamt gelaufen“, so erzählt sie. Man sagte uns, wir sollten wieder kommen. Uns stand aber das Wasser bis zum Halse. Noch einige Tage und dann sollte das Räumungsurteil vollstreckt werden. Ich war ganz apathisch geworden. Nirgendwo sah ich eine Hilfe. Jetzt kam der Tag heran. Die kommunistische Stadtverordnete Frau Melchers ging zur Klöckner-Direktion. Die Direktion wollte die Räumung nicht zurücknehmen. Wieder wurde das Wohlfahrtsamt um Hilfe angerufen und jetzt endlich zubilligt, ein Teil der Mietschuld aufzubringen.
Das war am Tage der Zwangsräumung. Während das Wohlfahrtsamt die letzte Erklärung abgegeben hatte, stand schon der Gerichtsvollzieher mit dem Möbelwagen vor der Haustür. Ein Flitzer mit Karabiner bewaffneter Polizei kam heran. Wir dachten an die Sitzung des Sondergerichts. Acht Arbeiter auf der Anklagebank. Arbeiter, die von der Polizei verhaftet wurden, als die Räumung rückgängig gemacht worden war. Der Jungarbeiter Lehnig wurde zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt. Andere wurden zu Gefängnis verurteilt, zum Teil freigesprochen. Alles wäre nicht geschehen, wenn nicht der Rechtsvertreter der Klöckner-Werke laut Instruktion sich auf den Standpunkt gestellt hätte, daß auch die Beihilfe des Wohlfahrtsamtes abzulehnen sei.
Wie erinnerlich setzte die Direktion der Klöckner-Werke in der Kiefernstraße im August zweimal eine Zwangsräumungs-Aktion an. Drei Arbeiter und zwei Arbeiterfrauen kamen vor das Sondergericht. Das Gericht verurteilte auf die Aussagen der Schupobeamten hin, den Arbeiter Schütz zu einem Jahr Zuchthaus, den Arbeiter Kulessa und die Arbeiterfrau Oehnhausen, die ihr gefährdetes Kind von der Straße holen wollte zu einem Jahr ein Monat Zuchthaus. Fräulein Kölner die bei ihrer Schwester zu Besuch war und einen Beamten beschimpft haben soll, erhielt die gleiche ungeheuerliche Strafe. Insgesamt 4 Jahre 3 Monate Zuchthaus! Der Staatsanwalt hatte gegen den Arbeiter Jakob Schütt 10 Jahre Zuchthaus beantragt. So wie alle Opfer der Klöckner-Direktion unschuldig in Lüttringhausen oder im Frauenzuchthaus Kassel eingekerkert wurden, so auch der Arbeiter Jakob Schütt.

Zerrissene Uniform-Manschette – Verletzte Staatsautorität

Es haben sich viele Zeugen gemeldet, die aus dem Fenster heraus den Vorgang, in welchem der Arbeiter Jakob Schütt verwickelt gewesen sein soll, genau beobachtet haben. Es handelt sich bei den Zeugen um Bewohner der Häuser des Spar- und Bauvereines: Postbeamte, Städtische Beamte usw. Die Zeugen haben gesehen, daß der Schupobeamte, der mit dem Heftpflaster am Kinn den Arbeiter Jakob Schütt beschuldigte, von dem Arbeiter nicht geschlagen worden ist. Der Schupo erhielt vor der Metzgerei auf der Kiefernstraße von einigen Frauen ein paar Ohrfeigen. Eine Tatsache, die dieser Polizeibeamte unter Eid nicht einmal erwähnte!
Nach diesem Vorfall fiel ein Arbeiter zu Boden und riß beim Fallen dem Schupobeamten die Uniformmanschette ab. Der Schupobeamte behauptete, das hätte Jakob Schütt getan. Jakob Schütt aber saß in der Wohnung seiner Mutter und trank Kaffee. Er konnte mit seinen verstümmelten Händen den Schupobeamten nicht schlagen, denn Jakob Schütt ist kaum imstande, einen Eimer Kohlen zu tragen.

Der Pastor von St. Vinzenz

Der Kampf um die Freilassung des Sondergerichts ist nicht beendet, sondern er wird mit aller Kraft fortgeführt. Die Rote Hilfe wird alles daransetzen, um die Freilassung der Opfer zu erreichen. Eine Freilassung wird aber nur erzielt werden können, wenn eine breite Massenbewegung der Arbeiterschaft diese Forderung erhebt. Jetzt, nachdem viele Opfer durch die Tätigkeit der Klöckner-Direktion dem Sondergericht zum Opfer gefallen sind (nachdem der Rechtsvertreter des Klöckner-Konzerns, der Nazihäuptling Steinhäuser, selbst die Beihilfe des Wohlfahrtsamtes zurückgewiesen hatte), jetzt kommt der Pastor von St. Vinzenz und will sich dafür einsetzen, daß die zu Zuchthaus verurteilten Arbeiterfrauen und Arbeiter auf freien Fuß kommen. Wer es ehrlich beim Kampfe um die Freilassung der Opfer meint, ist der Arbeiterschaft jederzeit willkommen. Aber der Pastor von St. Vinzenz mag zu seinem Glaubensgenossen Peter Klöckner nach Duisburg fahren. Er mag sich daran erinnern, daß die Richter, die die Schreckensurteile verkündeten, streng katholische Männer sind. Das Schreckensurteil muß aufgehoben werden, ein Wiederaufnahmeverfahren erkämpft. Das ist die Forderung der Arbeiterschaft.

Vergeßt nicht die dreckige Denunziation durch die SPD.-Führer

Wie das hiesige Zentrumsblatt den Kampf der werktätigen Arbeiter in der Kiefernstraße anläßlich der beiden Sondergerichtsprozesse verhöhnte, wie das Zentrumsblatt die Maßnahmen des Zentrumskapitalisten und Reichstagsabgeordneten Peter Klöckner mit provozierenden Worten zu entschuldigen versuchte, das haben wir vor einigen Monaten schon aufgezeigt. In Erinnerung rufen wir die Schamlosigkeit der sozialdemokratischen Führer, die sich bei dem zweiten Sondergerichtsprozeß in der „Volkszeitung“ vom 20.9.32 mit folgenden Worten dem Staatsanwalt anbiederten:
„Die Kommunisten werden dieses Verbrechen (Kampf gegen die Exmittierung in der Kiefernstraße. Die Red.) an gutgläubigen Arbeitern nicht ableugnen können. Wir haben es photographiert, weil wir kommen sahen, daß die Polizei zur Stelle sein würde, um sich gegen die Störungen zur Wehr zu setzen.“
Mit anderen Worten: Herr Staatsanwalt, wir, die sozialdemokratischen „Volkszeitungs“-Redakteure, haben Photographien im Besitz, die die Möglichkeit geben, Kommunisten zu verhaften.

Neue Exmitierungsversuche?

Bei unserem Rundgang in der Kiefernstraße kommen wir zu einer erwerbslosen Familie, die aufs neue von der Zwangsräumung bedroht ist. So wie bei den anderen Familien, so ist auch hier die Ursache die Mietschuld: Erwerbslosigkeit. Auch in diesem Falle war der Ernährer früher bei Klöckner beschäftigt. Ein Kind der Familie ist krank. Möbelschulden sind noch zu begleichen. Das Wohlfahrtsamt erklärte sich nach langem hin und her bereit, einen Teil der Mietschuld aufzubringen. Nach Erlaß der Hauszinssteuer wird noch ein Rest von 13 Mark verbleiben. Die Familie will diese Restschuld in Teilzahlungen abtragen. Der Rechtsvertreter der Klöckner-Werke soll sich nicht damit einverstanden erklärt haben. Über dieser Familie hängt wiederum das Damoklesschwert der Zwangsräumung.

Wie in der Kiefernstraße, so überall!

So wie in der Kiefernstraße, so finden wir in den anderen proletarischen Vierteln Düsseldorfs die gleichen Verhältnisse. Wir zitierten kürzlich die Ausführungen eines englischen Journalisten über seine Erlebnisse in Düsseldorf. Keine andere Zeitung in Düsseldorf hat die Ausführungen dieses englischen Journalisten auch nur erwähnt. Dabei wurde das Elend der werktätigen Bevölkerung nicht einmal mit aller Gründlichkeit geschildert.
15 000 Räumungsklagen schweben im Oberlandesgerichtsbezirk Düsseldorf. 15 000 Familien sollen auf die Straße gesetzt werden. Es sind die großen Hausbesitzer, die mit aller Brutalität vorgehen. Für die bedrohten werktätigen Mieter gilt nicht der Notstand, der kürzlich durch das Reichsgericht für die verschuldeten Großgrundbesitzer in Ostelbien proklamiert wurde.
Die werktätigen Mieter sind auf sich selbst gestellt. Nur durch eigene Kraft können sie aus dem Elend herauskommen, und den Weg zeigt die Kommunistische Partei. Immer wieder werden die Klöckner-Werke versuchen, in der Kiefernstraße gegen die Mieter vorzustoßen – Immer frecher werden die großen Hausbesitzer alle Hebel in Bewegung setzen, um das Elend der werktätigen Mieter zu vergrößern. Aber das Proletariat ballt sich zusammen zu einer gewaltigen Kraft, formiert die Einheitsfront und wird den Klassenfeind schlagen, um eine neue Gesellschaftsordnung aufzubauen.

aus: „Die rote Kommune – Wahl-Zeitung der K.P.D. Niederrhein“
Archiv: Kaspar Michels